04.04.2022
Am 01.04.2022 ist die 2. Novelle zur „Automatisiertes Fahren Verordnung“ – kurz „AutomatFahrV“ – in Kraft getreten. Damit werden fünf neue Anwendungsfälle für Testzwecke aufgenommen und neue Anforderungen eingeführt, um die höchstmögliche Sicherheit beim Testen zu gewährleisten.
Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) unterstützt mit der Automatisiertes Fahren Verordnung das Testen von automatisiertem Fahren auf Straßen mit öffentlichem Verkehr. Die Anforderungen an Tests von automatisierten Mobilitätssystemen und Services entwickelt sich laufend weiter. Damit einhergehend wurde nun auch die Verordnung für Automatisiertes Fahren ein zweites Mal novelliert. Die Neuigkeiten betreffen weitere Anwendungsfälle, die Erweiterung der vorgeschriebenen Sicherheitsstandards und Qualitätskriterien sowie eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in bestimmten Anwendungsfällen zu ermöglichen.
Österreich hat mit der Veröffentlichung der Automatisiertes Fahren Verordnung 2016 einen europaweit neuen Ansatz verfolgt und sich beim Testen auf besonders wichtige Anwendungsfälle konzentriert. Bisher waren Tests für automatisierte Kleinbusse, Autobahnpiloten mit automatischem Spurwechsel und selbstfahrende Heeresfahrzeuge zugelassen. Ab sofort können fünf weitere Anwendungsfälle für das Testen und Pilotieren von automatisierten Mobilitätssystemen herangezogen werden, die neue Einsatzmöglichkeiten in der automatisierten Mobilität bieten:
Dieser Anwendungsfall ist für Tests mit automatisierten Fahrzeugen vorgesehen, die auf bereits typengenehmigten Fahrzeugen basieren. Dadurch sind im Gegensatz zu neuartigen Prototypen bereits viele Anforderungen hinsichtlich aktiver und passiver Sicherheit abgedeckt. Ein Beispiel hierfür bildet das EU-Projekt SHOW, das mit einer Pilotsite in Graz automatisierte Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen für den Personentransport zu einem Einkaufszentrum testet.
Mit der Novelle wird auch ein Anwendungsfall speziell für den Güterverkehr geschaffen. Die Geschwindigkeit ist dabei auf 30 km/h für Tests mit automatisierten Fahrzeugen, die keine Typengenehmigung haben und 50 km/h für Tests mit automatisierten Fahrzeugen, die auf bereits typengenehmigten Fahrzeugen basieren, begrenzt. Somit eignet sich der Anwendungsfall für Testvorhaben mit eher kurzen Distanzen, etwa zwischen verschiedenen Betriebsstandorten oder Logistikzentren. Ein EU-Projekt, welches an solch einem Szenario arbeitet, ist AWARD, bei dem in Gunskirchen der automatisierte Betrieb zwischen einem Logistikhub und einer Fabrik erprobt werden soll.
Bisher war es im Anwendungsfall „Autobahnpilot mit automatischem Spurwechsel“ nicht möglich Auf- und Abfahrten automatisiert zu befahren. Mit diesem Anwendungsfall wird dies erstmals für Testzwecke zulässig. Für die entsprechenden Auf- oder Abfahrten muss allerdings eine Freigabe der Straßenbetreiber vorliegen.
In diesem Anwendungsfall soll das automatisierte Einparken, etwa in Parkhäusern, ermöglicht werden. Bei Geschwindigkeiten bis zu 10 km/h kann auch eine sich außerhalb des Fahrzeugs befindliche Person die Fahrmanöver beobachten, um – falls notwendig – eingreifen zu können. Diese Form des valet parking ist besonders für Sharing-Angebote und in Kombination mit Park&Ride-Anlagen interessant, wie ein Beispiel von Bosch zeigt.
Der Einsatz von automatisierten Arbeitsmaschinen bietet die Chance, die Arbeitssicherheit für Menschen zu erhöhen. Konzepte mit automatisierten Arbeitsmaschinen sehen teilweise keinen Lenker:innenplatz mehr vor. Durch diesen Anwendungsfall können auch derartige Maschinen ohne Operator:in im Fahrzeug und mit einer Maximalgeschwindigkeit von bis zu 10 km/h getestet werden. Im Rahmen dieses Anwendungsfalls könnten z.B. automatisierte Mulchmaschinen für Grünstreifen entlang von Autobahnen eingesetzt werden.
Die Voraussetzungen, um Testbetriebe für automatisierte Mobilitätsdienste einrichten zu können, sind in Europa nicht einheitlich geregelt. In Schweden muss beispielsweise ein sogenannter „Site Acceptance Test“ vorab unter realen Bedingungen durchgeführt werden. In Spanien wiederum muss eine Prüfstelle das Fahrsystem dahingehend vor Testbeginn abnehmen, ob bestimmte Szenarien bewältigt werden können. In Österreich setzt man ab sofort auf eine vorgegebene Streckenanalyse und Risikobewertung, die beim Testantrag mit eingereicht werden muss und die ein zusätzlicher Baustein zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit im Zuge des Testens automatisierter Fahrzeuge auf Straßen mit öffentlichem Verkehr ist:
Die Bewertung der Risikopotenziale der Teststrecke ermöglicht es, Streckenabschnitte zu identifizieren, für die noch weitere risikominimierende Maßnahmen vorzusehen sind sowie jene Abschnitte zu identifizieren, die sich möglicherweise noch gar nicht für das Testen von automatisierten Fahrzeugen eignen. Die Vor-Ort-Besichtigung startet mit einer ersten Analyse der Strecke anhand einer Checkliste. Dabei werden die örtlichen Gegebenheiten erhoben. Das schließt auch besondere Orte wie Schulen oder Unfallhäufungsstellen mit ein. Im nächsten Schritt wird die Strecke bei jeder Änderung von relevanten Kriterien in einzelne Abschnitte unterteilt. Dazu zählen etwa Kreuzungsbereiche, Kurven oder eine Änderung der Fahrstreifenbreite. Diese einzelnen Abschnitte werden anschließend anhand eines Kriterienkatalogs hinsichtlich ihres Risikopotenzials bewertet. Zeigt sich, dass das Risikopotenzial in manchen Bereichen zu groß ist, können vom Antragstellenden entsprechende Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen werden, um das Risikopotenzial zu senken. Eine Risikoabschwächung ist mit folgenden Vorkehrungen oder Maßnahmen möglich:
Die Tätigkeit als Operator:in von automatisierten Fahrzeugen, die zu Testzwecken betrieben werden, geht mit speziellen Anforderungen einher, welche über die Lehrinhalte einer Führer:innenscheinausbildung hinausgehen: War bisher eine Ausbildung für das automatisierte Fahrsystem und ein gültiger Führerschein als Nachweis ausreichend, muss ab sofort auch eine Bestätigung erbracht werden, dass eine adäquate Einweisung auf das konkrete Testvorhaben mit den speziellen örtlichen Gegebenheiten, die jeweilige Teststrecke, die geplanten Fahrmanöver etc., erfolgt ist. Der verpflichtende Nachweis dieser Einweisung ist neben der Streckenanalyse und Risikobewertung ein weiterer Baustein, um die Verkehrssicherheit bei Testfahrten zu gewährleisten.
Testen ist nicht nur zur technischen Entwicklung wichtig, sondern auch um Erfahrungen im realitätsnahen Betrieb zu sammeln, Nutzer:innenakzeptanz zu evaluieren, Systeme menschenfreundlich zu gestalten oder die Integration neuer Services in bestehende zu erproben. Mit der Automatisierten Fahren Verordnung wurden 2016 die ersten drei Anwendungsfälle für Testzwecke definiert. Bereits 2019 wurden durch die erste Novelle auch Anwendungsfälle für genehmigte Systeme in Serie geschaffen, die das Loslassen des Lenkrads unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Die aktuell 2. Novelle orientierte sich am Bedarf nach neuen Testszenarien. Außerdem wurden die Rahmenbedingungen für sicheres Testen weiterentwickelt. Auf europäischer Ebene sind die nächsten Schritte zum Regelbetrieb von vollautomatisierten Fahrzeugen in bestimmten Anwendungsfällen bereits in Vorbereitung: Derzeit wird der Entwurf einer neuen Durchführungsverordnung zur Verordnung (EU) 2019/2144 diskutiert, welche die Prozesse und technischen Spezifikationen zur Typengenehmigung von vollautomatisierten Fahrzeugen beinhalten wird. Im nächsten Schritt müssen die Rahmenbedingungen für den Betrieb, insbesondere für die Zulassung von Betriebsgebieten, definiert werden.
Die Kontaktstelle für Automatisierte Mobilität bei AustriaTech steht jederzeit gerne für Anfragen zur Verfügung und informiert laufend über neue Entwicklungen.