26.11.2021
Am 17.11.2021 wurde das Right-to-Plug, also das Anrecht auf eine private E-Ladestation am eigenen Stellplatz, im Ministerrat beschlossen. Damit wurde ein schon lange geforderter Meilenstein für die Nachrüstung von E-Ladestationen im Bestandswohnbau umgesetzt.
Für den Hochlauf der E-Mobilität ist das unkomplizierte Laden am Wohn- oder Arbeitsort eine notwendige Voraussetzung. Bis dato gab es aber insbesondere bei der Nachrüstung von Ladestationen im Wohnungseigentum noch große Hürden, da für Einzelladestationen eine aktive, 100%ige Zustimmung von jedem:r Wohnungseigentümer:in notwendig war. Freilich gab es auch die Möglichkeit, die Zustimmungen durch gerichtliche Entscheidungen ersetzen zu lassen, doch ist die Anrufung des Gerichts und das damit verbundene Hineinziehen aller anderen Wohnungseigentümer:innen in ein gerichtliches Verfahren ein heikler Schritt. Um die Errichtung von Einzeladestationen – sowie auch die Installation von mehreren Einzelladestationen in einer E-Mobilitätsgemeinschaft – in Wohnhausanlagen zu erleichtern, führt die Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG-Novelle 2022) mit der sogenannte „Zustimmungsfiktion“ ein neues Instrument ein. Gemäß dieser Zustimmungsfiktion gilt eine Zustimmung als erteilt, wenn
Es wurde somit ein Paradigmenwechsel von einer aktiven Zustimmung in eine aktive (schriftliche) Ablehnung vollzogen. Was bei der Nachrüstung von Ladestationen gemäß der WEG-Novelle 2022 beachtet werden muss, veranschaulichen nachfolgende Beispiele:
Frau Schaub möchte eine Einzelladestation auf dem in ihrem Eigentum befindlichen Parkplatz installieren lassen. Sie muss alle anderen Wohnungseigentümer:innen – mit klarer und verständlicher Beschreibung des Vorhabens – über die geplante Änderung schriftlich informieren. Der Fristenlauf von zwei Monaten beginnt ab dem Zugang der Verständigung. Namen und Zustellanschrift bekommt sie dazu vom Verwalter der entsprechenden Liegenschaft. E-Mail-Adressen darf der Verwalter nur mit der Einwilligung des:r betreffenden Wohnungseigentümers:in weitergeben. Abhängig davon, ob ein:e Wohnungseigentümer:in schriftlich widerspricht oder nicht, gibt es nun zwei Möglichkeiten:
1. Möglichkeit: Es widerspricht kein:e Wohnungseigentümer:in:
Frau Schaub darf ihre Einzelladestation auf dem in ihrem Eigentum befindlichen Parkplatz von einem konzessionierten Elektrofachbetrieb installieren lassen. Die Zustimmungsfiktion gilt aber – nach derzeitigem Stand – nur für Einzelladestationen, die eine Leistung von maximal 3,7 kW einphasig oder 5,5 kW dreiphasig aufweisen.
2. Möglichkeit: Es widerspricht ein:e Wohnungseigentümer:in:
Sollten ein oder mehrere Wohnungseigentümer innerhalb der zwei-monatigen Frist schriftlich (auf Papier oder in dauerhaft speicherbarer elektronischer Form) Widerspruch gegen das Vorhaben erheben, muss Frau Schaub die Zustimmung – wie auch bisher – gerichtlich ersetzen lassen. Dazu muss sie beim zuständigen Gericht mittels eines Antrags die Ersetzung der verweigerten Zustimmung(en) beantragen. Die Chancen von Frau Schaub stehen – aufgrund der neuen Gesetzeslage – jedenfalls gut, dass ihrem Antrag vom Gericht stattgegeben wird.
Falls Frau Schaub eine Ladestation mit mehr als 5,5 kW installieren lassen möchte, muss sie entweder die aktive Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer:innen einholen, wie es bis zur WEG-Novelle 2022 für alle Einzelladestationen notwendig war, oder die Zustimmung gerichtlich ersetzen lassen. Frau Schaub müsste im gerichtlichen Verfahren die Verkehrsüblichkeit oder ein wichtiges Interesse an der Errichtung einer solchen Ladestation nachweisen. Ob einem solchen Antrag von Frau Schaub stattgegeben wird, ist von zahlreichen Faktoren abhängig, weshalb die Erfolgsaussichten nur schwer einschätzbar sind. Wichtig dabei ist, dass die durchschnittlich gefahrene PKW-Strecke in Österreich 34 km pro Tag beträgt. Für die meisten Fälle ist zur Deckung dieser Alltagsdistanzen eine Langsam-Ladung mit bis zu 5,5 kW ausreichend. Nähere Details zu Leistungs- und Energiemengen finden Sie im e-Mobility Check Leitfaden.
Jährlich verpflichtende wiederkehrende Prüfung (für Beispiel 1 und 2): hierfür muss Frau Schaub einen konzessionierten Elektrofachbetrieb beauftragen. Für diese Wartung müssen die Wohnungseigentümer:innen dem Elektrofachbetrieb das Betreten z.B. der Garage gestatten, da ansonsten keine ordnungsgemäße Wartung der Ladestation gewährleistet werden kann (§ 16 Abs. 7). Ebenso muss der konzessionierte Elektrofachbetrieb die Installation der Einzelladestation beim zuständigen Netzbetreiber melden.
Wenn neben Frau Schaub bereits weitere Wohnungseigentümer:innen, z.B. Herr Müller und Frau Schneider eine Einzelladestation installieren lassen möchten, aber die notwendige Mehrheit zur Errichtung einer Ladestation als Gemeinschaftsanlage noch nicht erreicht werden kann, können sich Frau Schaub, Herr Müller und Frau Schneider zu einer sogenannten „E-Mobilitätsgemeinschaft“ zusammenschließen. Dazu gelten grundlegend die gleichen Voraussetzungen wie bei der Installation einer Einzelladestation (siehe Beispiel 1 und Beispiel 2). Die Installation von mehreren Einzelladestationen in einer E-Mobilitätsgemeinschaft unterliegt auch der Zustimmungsfiktion. Die Leistungsgrenze dafür beträgt wie in Beispiel 1 erläutert 3,7 kW einphasig oder 5,5 kW dreiphasig pro Ladestation. Um die bestehenden Kapazitäten der Liegenschaft optimal auszunutzen, kann die E-Mobilitätsgemeinschaft auch ein sogenanntes Lastmanagement für ihre Ladestationen installieren lassen. Das hat den Vorteil, dass einerseits die benötigte Leistung für die einzelne Ladestationen reduziert und andererseits netzdienlich geladen werden kann. Außerdem kann die E-Mobilitätsgemeinschaft hierbei Kosten einsparen.
Falls eine solche „E-Mobilitätsgemeinschaft“ einzelne Ladestationen mit mehr als 5,5 kW (pro Ladestation) installieren lassen möchte, muss entweder die aktive Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer:innen eingeholt oder die Zustimmung gerichtlich ersetzt werden lassen. Im gerichtlichen Verfahren ist dabei die Verkehrsüblichkeit oder ein wichtiges Interesse an der Errichtung einer solchen Ladestation nachzuweisen. Einer „E-Mobilitätsgemeinschaft“ kann ein solcher Nachweis möglicherweise gelingen.
Inkrafttreten der Änderungen bei Einzelladestationen: All diese Änderungen bei einer Installation von Einzelladestationen (Beispiel 1-3) treten mit 1. Jänner 2022 in Kraft. Die Zustimmungsfiktion umfasst auch Ladevorrichtungen für einspurige E-Fahrzeuge. Weiters gilt die Zustimmungsfiktion nach §16 Abs. 5 neben der Anbringung einer Vorrichtung zum Langsamladen auch für Solaranlagen, Beschattungsvorrichtungen, einbruchsichere Türen sowie Änderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit.
Die Installation von vielen nicht gemanagten Einzelladestationen kann dazu führen, dass eine Erhöhung der Anschlussleistung des Gebäudes und eine Verstärkung der Hausleitung/Zuleitung notwendig werden, was mit hohen Kosten verbunden sein kann. Eine Gemeinschaftsanlage kann unter Einsatz eines intelligenten Lademanagements Spitzenlasten vermeiden und die Ladezeiten und -leistungen der einzelnen Ladestationen so verteilen, dass es (vorerst) zu keiner Erhöhung der Anschlusskapazität kommen muss. Gemeinschaftsanlagen haben besonders im mehrgeschossigen Wohnbau Vorteile gegenüber Einzelladestationen. Für die Installation von Gemeinschaftsanlagen (z.B. gemanagte Ladestationen über eine Masterstation) und die dafür notwendige Willensbildung (§ 24 Abs. 4) gibt es durch die WEG-Novelle 2022 zwei Möglichkeiten:
Eine Installation einer Gemeinschaftsanlage gemäß der neuen Willensbildung ist auf Willensbildungsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30. Juni 2022 eingeleitet werden.
Eine Leistungsgrenze für Gemeinschaftsanlagen sieht der Gesetzgeber nicht vor, wenngleich auch hier der Grundsatz gilt: „Nicht so viel Leistung wie möglich, sondern so viel Leistung wie notwendig und sinnvoll“. Bei der Dimensionierung einer Gemeinschaftsanlage mit Lastmanagement sind aufgrund von Gleichzeitigkeiten meist Leistungen von rund 1-2 kW pro auszurüstendem Parkplatz ausreichend. Natürlich können die jeweiligen Ladestationen dann auch mit mehr Leistung laden. Mehr Details zur Auslegung von Ladestationen sowie technische und organisatorische Fragestellungen finden Sie im e-Mobility Check Leitfaden.
Wenn eine Eigentümergemeinschaft eine Gemeinschaftsanlage installieren lassen möchte, es aber bereits eine oder mehrere Einzelladestationen gibt und die z.B. noch nicht gemeinsam gemanagt werden, gibt es folgende Möglichkeit (§16 Abs. 8): Die Eigentümergemeinschaft kann per Beschluss den:die Wohnungseigentümer:in der Einzelladeanlage dazu veranlassen, die Einzelladestation nicht weiter zu nutzen und sich einer (gemanagten) Gemeinschaftsanlage anzuschließen. Dies ist grundlegend für alle Einzelladestationen, die nach dem 31.12.2021 installiert wurden, möglich und kann frühestens fünf Jahre nach der Errichtung der Einzelladestation erfolgen. Voraussetzung für den Beschluss ist, dass durch eine (gemanagte) Gemeinschaftsanlage die elektrische Versorgung der Liegenschaft besser genutzt werden kann als durch eine oder mehrere (nicht gemanagte) Einzelladestationen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist – trotz einer mittlerweile allenfalls bereits errichteten Gemeinschaftsanlage – der Weiterbetrieb und die Weiterbenützung von bestehenden Einzelladeanlagen uneingeschränkt möglich.
Mit dem Right-to-Plug konnte ein wesentlicher Meilenstein in der Elektromobilität umgesetzt werden. Allerdings gibt es neben dem Wohnungseigentumsgesetz auch die Notwendigkeit, im Mietrechtsgesetz (MRG) und im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) das Anrecht auf eine Ladestation am Parkplatz zu verankern. AustriaTech steht auch weiterhin mit ihrer Expertise zur Verfügung und unterstützt dabei, dass sich die E-Mobilität in Österreich langfristig etabliert.
Auch als PDF downloadbar.