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Was intelligente Kopplung von Mobilität, Wohnen und Energie bringt

06.09.2019

Am 10.09.2019 richtet die Wirtschaftsagentur mit Unterstützung von AustriaTech den Business Treff "Mobilität & Wohnen" aus. Im Rahmen dieser Veranstaltung stellen wir unsere neuste Publikation "Mobilität & Wohnen" vor. Einen Vorgeschmack darauf liefert das Interview mit Thomas Kienberger.

Seit 2014 ist Thomas Kienberger Leiter für Energieverbundtechnik an der Montanuniversität Leoben. Dabei beschäftigt er sich in Forschung und Lehre intensiv mit Fragestellungen, wie interdisziplinäre, systemische Ansätzen die Effizienz und Flexibilität von öffentlichen sowie von industriellen Energiesystemen optimieren zu können.

Herr Kienberger, wie konzeptualisieren Sie Wohnen und Mobilität in Ihrer Forschung im Bereich Energie? Welche Überschneidungen zu anderen Bereichen gibt es?

Wenn man davon ausgeht, dass die #mission2030 umgesetzt wird, dann werden innerhalb der nächsten elf Jahre große Anteile der technischen Potenziale für elektrischen Strom genutzt. Da der Ausbaugrad der mehr oder weniger steuerbaren Wasserkraft sowie von Biomasse bereits sehr hoch ist, werden größtenteils volatile Energieträger dazukommen. Insbesondere Photovoltaik-Energie führt zu sehr hohen Unterdeckungen des elektrischen Energiesystems in der Nacht bzw. in den Wintermonaten. In den Sommermonaten dreht sich die Situation um. Die zu erwartenden Überdeckungen bewegen sich in der Größenordnung der heutigen Netzlast! Um den Ausgleich zwischen dieser zukünftig sehr volatilen Erzeugung und dem recht gut prognostizierbaren Verbrauch zu schaffen, brauchen wir zukünftig viel mehr Flexibilität. Bei der Kopplung des Sektors Verkehr mit dem Stromsystem steht bei uns E-Mobilität im Vordergrund. Dabei braucht’s Lösungen, die es ermöglichen zu laden, wenn gerade zu viel Strom im Netz ist. Beim Wohnen arbeiten wir an Lösungen für die Fernwärmeversorgung der Zukunft. Neben der Nutzung industrieller Abwärme, die große Effizienzvorteile ermöglicht, sehen wir flexibel eingesetzte Wärmepumpen als sehr interessant an.

 

Welche Möglichkeiten der Sektorkopplung zwischen Energie, Wohnen und Mobilität gibt es bereits?

Der Narrativ bei der heutigen Regulierung im Strom- und Gassystem, einer strikten Trennung zwischen Erzeugung, Netz und Vertrieb, steht der Sektorkopplung etwas entgegen. Tatsächlich haben sich viele erfolgreiche Beispiele der Sektorkopplung daher dort entwickelt, wo aufgrund der Netzanschlussebene Netzgebühren eine viel kleinere Rolle spielen, als im privaten Bereich. Viele große Papierfabriken nutzen heute Zeiten niedriger Stromkosten, um Prozesswärme aus Strom anstatt aus Gas zu erzeugen. Stahlwerke stimmen die Verwendung von Gas und Wärme flexibel auf Börsenpreise ab und speisen diese in hohen Preise sogar ins Stromnetz zurück. Aber natürlich tut sich auch im privaten Bereich was. Industrielle Abwärme wird in Österreich bereits heute in einer Reihe von Fernwärmenetzen eingebunden und verdrängt fossiles Gas als Energieträger für Heizwärme und Warmwasser. Aus unserer Forschung weiß ich, dass die Industrie sehr intensiv darüber nachdenkt, wie diese Form der Sektorkopplung verstärkt werden kann. Bei der Mobilität haben wir kürzlich in einem Projekt (Move2Grid) daran gearbeitet festzustellen, wie private E-Mobilität am besten mit regionalen Erneuerbaren zu versorgen ist. Ein Knackpunkt dabei ist es, Möglichkeiten zu schaffen, PV-Strom zum Laden direkt beim Arbeitgeber zu verwenden. Dies führt nicht nur zu Netzentlastungen, sondern ermöglicht zukünftig auch neue Geschäftsmodelle.

 

Was ist die Rolle der NutzerInnen bei der intelligenten Kopplung von Sektoren? Welche sehen Sie als die effektivsten Möglichkeiten, um neue Technologien für möglichst alle Personen nutzbar und attraktiv zu gestalten?

Über die Nutzerzentrierung neuer Geschäftsmodelle im Energiebereich wird im Moment sehr viel gesprochen – Stichwort Eigenstromnutzung und marktgetriebener Betrieb von Kleinverbrauchern. Für den größten Teil der NutzerInnen ist ein sicherer und günstiger Zugang zu Energie das Wichtigste. Für viele wird es zunehmend wichtiger, dass die eingesetzte Energie erneuerbar ist und umweltgerecht bereitgestellt wird. Fakt ist, dass z.B. beim Strom der Energiekostenanteil nur rund ein Drittel der Gesamtkosten ausmacht. Der Rest sind Kosten für den Systembetrieb sowie Steuern. Während die Erzeugung von erneuerbarer Energie immer billiger wird, nehmen die Kosten für den Systembetrieb durch den verstärkten Flexibilitätsbedarf zu. Wird nun auf der Nutzerebene durch den Einsatz von Digitalisierungsmethoden etc. optimiert, heißt das einerseits nicht, dass sich volkswirtschaftliche Optima ergeben. Anderseits bleiben die über, die sich Eigenoptimierung nicht leisten können. Aus meiner Sicht sollten wir uns neben der Nutzerzentrierung verstärkt auf Flexibilitätslösungen auf höherem Aggregierungslevel konzentrieren.

 

Welche Entwicklungen und Innovationen (Technologien, Tools, soziale Innovationen) aus dem Energiesektor, werden sich Ihrer Meinung nach in Zukunft am meisten auf den Bereich Wohnen und Mobilität auswirken?

Beim Mobilitätsverhalten ist einiges in Bewegung. Je nach Altersgruppe oder räumlicher Zuordnung merkt man eine Veränderung hin zu einer verstärkten Nutzung von Öffentlichen bzw. alternativen Mobilitätsangeboten wie Car-Sharing. Wenn man sich die Entwicklung im Bereich der E-Autos ansieht, dann sind aus meiner Sicht zwei maßgebliche Punkte zu bemerken: Erstens, mit Akkus die circa 30 kWh leisten, kommt man etwa 200 km. Damit kann man den größten Teil aller Distanzen problemlos erledigen. Für die Fahrten die länger dauern, bieten sich serielle Hybridfahrzeuge an. Ein kleiner, günstiger Verbrenner erzeugt dabei bei langen Strecken Strom für den E-Antrieb. Solche sinnvollen Fahrzeuge gibt es am Markt momentan nicht mehr. Stattdessen geht der Trend in Richtung E-SUV mit sehr großen Akkus. Derartige Fahrzeuge sind aufgrund der Gesamt-CO2-Bilanz nicht wirklich ein Schritt vorwärts. Zweitens, die größten Ladeenergiemengen werden zuhause oder zukünftig am Arbeitsplatz geladen. Dabei reicht eine Ladeleistung von 3,7 kW, um bei den typischen Standzeiten von mehreren Stunden ausreichende Energiemengen zu übertragen. Wird immer und flächendeckend mit 11 kW geladen, werden unsere Stromnetze bereits bei geringen E-Mobilitäts-Durchdringungen überlastet.

 

Vielen Dank für das Interview.