News
© Huger / AustriaTech
AustriaTech AustriaTech auf Facebook AustriaTech auf Twitter AustriaTech auf LinkedIn AustriaTech auf Xing AustriaTech auf YouTube

Wie kann automatisierte Mobilität Teil unserer Städte werden?

04.06.2021

Städte und Stadtregionen stehen heute vor der Aufgabe, bestehende Mobilitätssysteme um neue Technologien und Lösungen zu erweitern. Besonders die Automatisierung führt zu Veränderungen in der Mobilität. Wir haben mit ExperInnen und StädtevertreterInnen gesprochen, warum es wichtig ist, das Thema bereits jetzt auf die städtische Agenda zu setzen.

Der Österreichische Städtebund sieht sich in der Pflicht, Städte über neueste Entwicklungen zu informieren und einen Austausch und ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen. „Automatisierung wird stattfinden, bzw. „die Stadt finden“, soviel steht fest – egal, ob die Städte bereits im Vorfeld Vorkehrungen getroffen haben, oder nicht.“, sagt Stephanie Schwer, Verkehrsreferentin des Österreichischen Städtebundes. Darum müssen vor allem bestehende Verkehrs- bzw. Mobilitätskonzepte um die neuen Aufgabenfelder erweitert und adaptiert werden und es verbindliche Aussagen für Ziele sowie der darauf aufbauenden Gebote und Verbote getroffen werden. „Für die VerkehrsplanerInnen der Städte geht mit der automatisierten Mobilität eine Erweiterung des Aufgabenportfolios im Bereich Datenmanagement und -sicherheit sowie Verkehrs- und Flottenmanagement einher. Auch die Infrastruktur muss in Richtung Digitalisierung neu gedacht und aufgesetzt werden. Weitere Herausforderungen ergeben sich in der Raumordnung, wenn wir zum Beispiel an die Nutzungsmöglichkeiten der Gehsteigkanten oder die Planung neuer Siedlungsstrukturen mit reduzierten Stellplatzschlüssel denken.“ erklärt Schwer weiter.

Das Potenzial erkennen und nutzen
Das Potenzial von automatisierter Mobilität ist vielfältig. Für Andrea Stickler und Mathias Mitteregger, tätig für das Projektteam AVENUE21 der TU Wien, liegt es vor allem in ihrer möglichen Unterstützung einer ökologisch, ökonomischen und sozial nachhaltigen Verkehrswende. „Die automatisierte Mobilität könnte im Vergleich zu heutigen Formen der (Auto-)Mobilität aufgrund bedarfsorientierter Angebote, digital integrierter Buchungsplattformen, Komfort- und Kostenvorteilen enorme Chancen eröffnen. Gleichzeitig wird der Einsatz der automatisierten Mobilität umkämpft sein und Interessens- sowie Raumkonflikte hervorrufen.“

Szenarien mit automatisierten Fahrzeugen werden heute noch oft am hochrangigen Straßennetz erforscht und getestet, da sich dies dort teilweise einfacher gestalten lässt, als im städtischen Bereich mit vielen – auch ungeregelten – Kreuzungen, Fußgängern, Radfahrern u.a. „Aufgrund des komplexeren Umfelds können Städte auch die Erfahrungen auf z. B. Autobahnen abwarten. Die Implementierung könnte dann in Stufen erfolgen. Bei ev. notwendigen Gestaltungsänderungen des öffentlichen Straßenraums muss aber auch künftig auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Bedacht genommen werden. Für Städte sehe ich große Chancen im Bereich von multimodalen Mobilitätsgarantien.“, weiß Dipl.-Ing. Franz Dinhobl, Stadtrat der Statutarstadt Wiener Neustadt.

Gerade mit automatisierten Shuttles als Ergänzung zum klassischen Öffentlichen Verkehr oder für die Güterverteilung sind erste Testszenarien für und in Städten entstanden. „Damit kann die Mobilität in der Stadt effizienter und sicherer werden. Als Betreiber des öffentlichen Verkehrs sehen wir Potenziale unter anderem bei internen Prozessen auf Betriebshöfen wie auch als Anbieter von ergänzenden Mobilitätsdienstleistungen.“, berichtet Martin Schmidt, Planungsmanagement & Infrastruktur, Leitung Linien- & Verkehrsentwicklung bei der Holding Graz.

Erste Umsetzungsschritte
Konkrete Anwendungsfälle sind der Schlüssel. Und da Städte sehr unterschiedlichen Anforderungen und Voraussetzungen haben, müssen die Szenarien für Tests und Pilotprojekte mit automatisierten Fahrzeugen individuell definiert werden. „In europäischen Städten und Regionen finden sich sehr unterschiedliche räumliche Strukturen, Mobilitätsstile sowie Verkehrs- und Stadtplanungsansätze.“, erklären Stickler und Mitteregger. „Wir haben in unserem Projekt „AVENUE21 Automatisierter Verkehr: Entwicklungen des urbanen Europa“ aufgezeigt, dass diese unterschiedlichen räumlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten entscheidend auf den Einsatz von automatisierter Mobilität wirken werden. Aus technologischer Sicht sind die bestehenden Straßeninfrastrukturen unterschiedlich stark für den Einsatz von automatisierter Mobilität geeignet, wodurch eine neue Ungleichheit entstehen kann, die bislang noch wenig diskutiert wurde. Ebenfalls gehen wir von einer langen Phase des Übergangs aus, in der sich Mobilitätstechnologien ausdifferenzieren und zeitgleich bestehen können.“

„In der Stabstelle Linien- und Verkehrsentwicklung der Graz Linien beschäftigen wir uns seit etwa 2017 mit diesem Thema. Zum einen geht es darum mögliche Nutzen für uns als Betreiber zu erkennen. Anderseits aber auch darum abzuschätzen, was diese Entwicklung in Hinblick auf Verhaltensänderung bewirken kann und wie sich damit unser Marktumfeld ändern könnte. Im Zuge des Projekts „Move2Zero“ haben wir als Teilprojekt die Einführung eines Shuttle-Vorbetriebes (d.h. nicht automatisiert), bei dem aber beispielsweise eine eigene Buchungsplattform für derartige Anwendungszwecke zum Einsatz kommen soll. Über unser MobilityLab unterstützen wir beim Projekt SHOW die Projektpartner organisatorisch beim Vorbereiten eines Tests mit einem hochautomatisierten Fahrzeug auf einer ÖV-Trasse., so Schmidt.
Oft ist das Ziel, mit automatisierten Mobilitätslösungen das Verkehrsaufkommen zu reduzieren oder das Mobilitätsangebot inklusiver zu machen. Um die Bevölkerung gut abzuholen, werden Tests oftmals dann installiert, wenn eine hohe Einbindung der NutzerInnen besonders stark gegeben ist. Dinhobl dazu: „Während der Landesausstellung im Jahr 2019 wurde ein autonom fahrender Bus in der Innenstadt von Wiener Neustadt getestet. Die weitere technologische Entwicklung im Allgemeinen und speziell die autonome Mobilität könnte dazu genutzt werden, um die negativen Auswirkungen des Verkehrs zu reduzieren.“

Was es noch braucht
Der technologische Wandel braucht Zeit. Teilautonome Systeme sind dabei der erste Schritt. „Die Herausforderungen liegen meiner Meinung nach darin, dass durch die Implementierung die Verkehrswege im Umweltverbund gesteigert werden. Eine vollflächige Implementierung ist aus heutiger Sicht noch mit großen Herausforderungen verbunden. Der Handlungsrahmen der Städte liegt in der Reglementierung und Förderung je nach Netzausbau und Straßenhierarchie., sagt Dinhobl.

Damit die Städte diesen Aufgaben nachkommen können, müssen vorzeitig Partnerschaften und Kooperationen eingegangen und über Finanzierungsstrukturen nachgedacht werden. So können Städte ihre gestalterische Rolle im Bereich der automatisierten Mobilität proaktiv wahrnehmen und nicht einer zersiedelten Zukunft Raum geben. „Wichtig ist, dass der Einsatz neuer Technologien im Einklang mit den übergeordneten verkehrs- und klimapolitischen Zielen bleibt. Dabei gilt es nicht nur Mobilität emissionsarm zu gestalten, sondern auch stadtverträglich. Dazu gehört, dass ausreichend Platz für Menschen bleibt und die Trennwirkung von Verkehrsachsen reduziert wird. Eine weitere Steigerung von Fahrten mit nur einem Passagier oder gar „Geisterfahrten“, wo Fahrzeuge ohne Fahrgäste unterwegs sind, sind daher hintanzuhalten, weil dadurch der Flächenverbrauch noch weiter gesteigert wird.“, betont Schmidt. Stattdessen sollte es ein Flottenmanagement geben, bei dem etwa städtische Verkehrsunternehmen die Gesamtmobilität als Dienstleistung anbieten und dabei auch explizit Randgebiete mit erschließen. „Eine weitere Herausforderung betrifft die Frage, inwieweit automatisierte Fahrzeuge auf den Austausch von Daten mit dem Infrastrukturbetreiber (und damit den Städten) angewiesen sind. Hier könnten hohe Investitions- und Betriebskosten sowie Herausforderungen bezüglich Fachpersonal auf die städtischen Verwaltungen zukommen.“, so Schmidt weiter.

Die Erwartungshaltungen sind teilweise hoch. Eine „One-Size-Fits-All-Lösung“ kann es aber nicht geben. Stickler und Mitteregger fassen zusammen: „Obwohl es zutrifft, dass wir im besten Falle mit der automatisierten Mobilität die sogenannten „wicked-problems“ der Mobilität lösen können – also eine stärkere Dekarbonisierung des Verkehrs, Sicherheit im Verkehrssystem, Lärmreduktion sowie die Rückgewinnung und Nutzung von öffentlichem Raum, denken wir, dass wirklich sinnvolle Einsatzgebiete vor allem an den Stadträndern und in heute eher autoaffinen Lagen im suburbanen Raum liegen. In eher ländlichen Regionen, könnte der Einsatz im Tourismus funktionieren, wahrscheinlich aber nicht in wirklich dünnbesiedelten, peripheren Lagen. In den genannten Gebieten ist eine wertvolle Erweiterung des öffentlichen Verkehrs möglich. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass Formen der aktiven Mobilität (Zufußgehen und Radverkehr) nicht beeinträchtigt werden. Dann stellt die automatisierte Mobilität sowohl für Städte selbst, für Mobilitätsbetreiber und BürgerInnen einen wesentlichen Mehrwert dar.“